Stefan Haupt
1961 geboren in Zürich
1978-79 Matura Typus B, Klavier-, Oboen- und Gesangsunterricht, Chorleiter
1985-88 Schauspiel Akademie Zürich (Diplom als Theaterpädagoge)
seit 1989 freischaffend tätig als Filmemacher und Regisseur,
verheiratet, drei Kinder, lebt in Zürich
Gedanken zum Film
60 Jahre sind vergangen seit jenem Tag im Juni.
Ein Kind wird seiner Eltern beraubt.
Die ganze Unfassbarkeit des Krieges.
Wie leben mit einer solchen Vergangenheit?
Akzeptieren? Widerstehen? Anklage erheben?
Über 60 Jahre sind vergangen seit den Ereignissen, die in diesem Film geschildert werden, doch wie präsent sind diese Erlebnisse bei den Menschen, die sie überlebt haben, noch heute?
Was wissen wir über die Wirkung eines derartigen Massakers? Was ist die «Halbwertszeit» dieses Leidens? Wie lange dauern die Nachbeben solcher Vorkommnisse, ganz gleich, wo sie verübt werden. Wie leben mit solchen Verletzungen – mit dem Verlust der Integrität, der Unschuld?
Bei der Lebensgeschichte von Argyris Sfountouris berührt mich, wie tief ihre Wurzeln reichen. Wie plötzlich tut sich, mitten in einem kleinen, alltäglichen Leben, ein Abgrund auf. Und wie schnell werden die Fäden gespannt – aus einem kleinen griechischen Dorf in die Schweiz, nach ganz Europa, bis ans andere Ende der Welt. Wie sehr ist eine Lebensgeschichte verknüpft und verwoben: Individuum und Gesellschaft, Heimat und Exil, Krieg und Frieden, Trauer und Schuld, Herkunft, Gegenwart und Zukunft.
Ob nun bei einem Selbstmordattentat Dutzende, bei einem Bombenangriff Tausende, oder im 2. Weltkrieg insgesamt 64 Millionen Menschen ums Leben gekommen sind: die angegebenen Opferzahlen werden unfassbar und seltsam fiktional, und die Schicksale der Menschen virtuell. Sie erreichen uns nicht. Bei der heutigen medialen Überflutung trifft uns innerlich etwas, das wir kaum verorten können, und das uns ratlos zurücklässt.
Es ist schwierig und ungewohnt, sich den Opfern zuzuwenden. Als ob sich tief in uns drin ein seltsames Grundwissen eingenistet hat, dass es besser ist, sie zu meiden. Opfer-Sein rührt unheimlich tief. Es ist nicht nur der Schmerz über den Verlust, die Beraubung der Integrität und Grundsicherheit. Als Opfer warst du auf der falschen Seite. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Ein Gefühl des Lächerlich-Seins; ein Gefühl der Scham, nicht darüber hinweg zu sein.
Unser Interesse gilt normalerweise den Tätern. Wie kam es dazu, dass sie zu einer solchen Tat fähig waren? Was waren die Voraussetzungen, die Vorbedingungen? Im stummen Hintergrund lauert die Frage, ob wir selber auch dazu fähig wären. – Wir suchen nach Erklärungen und finden dabei Relativierungen.
Und es scheint auch so etwas wie eine Sperre im emotionalen Bereich zu geben, die es verunmöglicht, sich kritisch mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die Vergangenheit bindet an eine Gemeinschaft. Und diese Zugehörigkeit darf nicht aufs Spiel gesetzt werden. Die Bereitschaft zur Selbstkritik könnte bedeuten, sich aus dieser Gemeinschaft herauszukatapultieren, ausgestossen zu werden. Allein zu sein. Schutzlos.
Aus all den unzähligen Schicksalen wählt EIN LIED FÜR ARGYRIS eines exemplarisch aus – und insistiert darauf. Sobald ein Schicksal einen Namen, ein Gesicht und eine Geschichte erhält, wird es fassbar.
Der Film ist eine Verneigung vor den Menschen, die solche Erlebnisse in frühester Kindheit gemacht haben, und dennoch überleben, dennoch leben wollen, und sich nicht abschotten und zurückziehen. Diese Suche, diese Sehnsucht liegt dem Film zu Grunde.
Filmografie
2006 Ein Lied für Argyris, Dokumentarfilm, 105 min., Drehbuch, Regie und Produktion
Nomination Schweizer Filmpreis 2007 «Bester Dokumentarfilm»
Publikumspreis Dokumentarfilmfestival Thessaloniki 2007
Kyiv Contact Documentary Film Festival 2007
Dokfilmfest München 2007
Int. Filmfestival Innsbruck 2007
Publikumspreis Los Angeles Greek Film Festival 2007
Locarno Int. Film Festival 2007
Sarajevo Film Festival 2007
2006 Fritz & Love, Drehbuch für einen Kinospielfilm; in Überarbeitung
Regie und Co-Produktion geplant für 2007
2004 Downtown Switzerland, Dokumentarfilm, 94 min., Idee, Co-Autor, Co-Regie und Co-Produktion, mit Christian Davi, Kaspar Kasics, Fredi M. Murer, Molodist Internationales Filmfestival Kiev, 2005
2003 Moritz, Fernsehspielfilm, 87 min., Co-Autor, Regie, Co-Produktion
Baden-Baden, Miami, u.a.m.
2002 Elisabeth Kübler-Ross – Dem Tod ins Gesicht sehen, Dokfilm, 98 min., Drehbuch Regie und Produktion
Nomination Schweizer Filmpreis 2004 «Bester Dokumentarfilm»
Qualitätsprämie des EDI
Molodist Internationales Filmfestival Kiev, 2003
Dokfilmfest München, Doc Aviv
MAX Filmfestival Hongkong, 2004 u.a.m
2001 Utopia Blues, Spielfilm, CH-Dialekt, 97 min., Drehbuch, Regie, Co-Produktion
Schweizer Filmpreis 2002 (Bester Spielfilm, Bester Darsteller)
Zürcher Filmpreis, Studienprämie des EDI
Max Ophüls-Preis 2002 (Bestes Drehbuch)
Grosser Preis Molodist Internationales Filmfestival Kiev, 2002
Pusan, San Francisco, Schwerin u.a.m.
2000 Increschantüm (Heimweh), Dokumentarfilm, 68 min. rätoromanisch, Drehbuch, Regie, Produktion
1998 I'm just a simple person, Dokumentarfilm, 49 min. Drehbuch, Regie, Produktion
Studienprämie des EDI